05. Mai 2023

Berufsbildung im Rettungsdienst: Von der Theorie in die Praxis

Blaulicht-Blog | Rettungssanitäter/-innen in Ausbildung absolvieren bei uns im Rettungsdienst jährlich Praxistage, an welchen sie verschiedene Einsatzszenarien in realer Umgebung, unter realen Bedingungen und mit echtem Material simulieren. Solche Ausbildungstage bieten Gelegenheit die Theorie in die Praxis zu transferieren. Eine solche Übung fand kürzlich in Zusammenarbeit mit der Polizei Basel-Landschaft statt; inklusive Einsatz von Schusswaffen und viel Kunstblut.

Wer am Kantonsspital Baselland (KSBL) die Ausbildung zur Rettungssanitäterin oder zum Rettungssanitäter absolviert, muss sich nicht nur theoretisches Wissen aneignen, sondern auch die Umsetzung in die Praxis lernen. Doch wie übt man den Notfall, ohne dass echte Patient/-innen involviert sind? Denn bei einem reellen Einsatz muss es schnell gehen und jeder Handgriff sitzen. Da bleibt keine Zeit für Anschauungsunterricht. 

Neben der praktischen Ausbildung im Rettungsdienst des KSBL sowie in benachbarten Spitalberufen nehmen die Auszubildenden an mehreren speziellen Praxistagen teil. Diese organisiert das Berufsbildnerteam fünfmal pro Jahr für ihre Studierenden. Dabei simulieren sie verschiedene Einsatzszenarien in realer Umgebung: auf der Eiskunstbahn, im Schwimmbad, auf dem Bike-Trail oder Bauernhof, am Bach-/ Flussufer oder im Wald. Rettungssanitäterinnen und –sanitäter müssen mit jeder Situation und auf jedem Terrain zurechtkommen und entsprechend den Gegebenheiten handeln. Mit diesen Praxistagen üben die Studierenden genau das. 

«Der eingebildete Kranke»
Damit die Situation möglichst lebensecht wirkt, braucht es Verletzte, die behandelt werden müssen. An echten Patientinnen und Patienten können die Studierenden natürlich nicht trainieren. Darum halten jeweils Freunde, Familienangehörige oder Teammitglieder als Statisten her. Mit entsprechender Kleidung und Schminke mimen sie verunfallte oder erkrankte Personen. Nicht selten gehen diese Figuranten voll in ihrer Rolle auf und zeigen all ihr schauspielerisches Können. 

Wunden dürfen für eine möglichst realitätsnahe Darstellung der Notfallsituation nicht fehlen. Mit entsprechendem Material und Kunstblut verpasst das Berufsbildnerteam den fiktiven Opfern täuschend echt aussehende Stich-, Schnitt- oder Schusswunden. Je nach Situation, die simuliert wird. Moulagieren nennt man das in der Fachsprache. Auch die Umgebung wird entsprechend präpariert und grosszügig mit Kunstblut «dekoriert». Das fliesst nicht selten eimerweise. 

Hand in Hand mit der Polizei
Oft agiert der Rettungsdienst bei Einsätzen nicht alleine, sondern in Zusammenarbeit mit anderen Blaulichtorganisationen wie beispielsweise der Polizei. Genau so ein gemeinsamer (simulierter) Einsatz stand am Praxistag im März 2023 auf dem Programm. Dank guten Kontakten zu der Polizei Basel-Landschaft kam diese Kooperation zustande. Die Polizei stellte zu Übungszwecken Schulungsräume und Areal des Ausbildungszentrums Oristal (AZO) der Kantonalen Verwaltung in Liestal zur Verfügung. 

Bei der Übung am Vormittag handelt es sich um einen Polizeieinsatz, bei welchem die Situation eskalierte. Dabei kam es nach einem Messerangriff zu einem polizeilichen Schusswaffeneinsatz. Insgesamt wurden drei Personen teils schwerverletzt. 

Die Einsatzmeldung hiess erstmal: Notruf aus einer Wohnung an der Oristalstrasse 100 in Liestal. Die Polizei sei ebenfalls aufgeboten. Beim Eintreffen des Rettungsdienstes fielen sogleich Schüsse. Und jetzt? Sofort hineinrennen, um zu sehen, ob jemand Hilfe benötigt oder doch eher das Weite suchen, bis die Polizei die Gefahrenzone freigibt? Natürlich Letzteres. Denn der Eigenschutz der Rettungssanitäter/-innen steht immer im Vordergrund. 

Nach Freigabe der Wohnung durch die Polizei trafen Rettungssanitäter/-innen in Ausbildung auf drei offensichtlich Verletzte. Ein Polizist plus eine weitere Person wurden von einem Dritten mit einer Stichwaffe angegriffen und verletzt, worauf die zweite anwesende Polizistin ihre Schusswaffe gegen den Täter einsetzte und diesen in den Brustkorb «traf». Selbstverständlich mit einer modifizierten Waffe mit Übungsmunition. Und natürlich schoss sie extra daneben. Es wurde bei dem simulierten Einsatz niemand verletzt. 

 

Immer Ruhe bewahren
Nun hiess es die Situation überblicken, die richtigen Entscheidungen treffen, Prioritäten setzen, Platz schaffen für die sogenannte präklinische Behandlung. Die Studierenden nahmen den simulierten Einsatz genauso ernst, wie jeden Ernstfall und gaben ihrem Ausbildungsstand entsprechend ihr Bestes. Einige hatten erst vor drei Monaten ihre Ausbildung begonnen. Verständlicherweise war diese Situation für sie heraufordernder als für ihre Kolleg/-innen, die schon fortgeschrittener sind. 

Die anschliessende Nachbesprechung war äusserst aufschlussreich und umfasste auch einen interessanten Vortrag über polizeiliche Schusswaffen - was dabei zu beachten ist sowie die Beschaffenheit und Handhabung von ballistischen Schutzwesten. Die Auszubildenden lernten, dass eine, auf den ersten Blick, unverletzte Polizistin, die einen Schuss abgegeben hat, immer auch betreut werden muss. Oder, dass es ihre Aufgabe ist herumliegende Schusswaffen zu sichern, sofern kein Vertreter der Polizei in der Lage ist diese Aufgabe zu übernehmen. 

Szenario Amoklauf
Nach dem gemeinsamen Mittagessen im Restaurant Viva des Kantonsspital Baselland in Liestal folgte sogleich der zweite Streich: ein Amoklauf. Die Studierenden wussten lediglich, dass der Täter bereits geflüchtet und der Einsatzort von der Polizei freigegeben ist sowie, dass mehrere Personen betroffen sind. Nur wo sich diese auf dem weitläufigen Areal der AZO befinden und welcher Art ihre Verletzungen sind, war unbekannt. Suchen war angesagt. 

Für den Patienten «Reanimations-Übungspuppe», auf den die Studierenden zuerst trafen, kam jede Hilfe zu spät. Die anderen vier «verletzten» Statisten waren rasch gefunden. Sofort wurde abgeschätzt wer zuerst und welche Hilfe benötigt. Nach dieser Priorität wurde behandelt. Eine vorgängig definierte Einsatzleiterin behielt den Überblick über die Situation. Es war eindrücklich zu sehen, wie die Auszubildenden das am Vormittag Gelernte bereits in die Tat umsetzten. 

Lehrreicher Tag für alle Beteiligten
Die Rettungssanitäter/-innen in Ausbildung profitierten sehr von dieser Einsatzübung. Alle waren sich einig, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei sehr wertvoll und spannend war und, dass die Partnerschaften weiter ausgebaut werden soll. Die wichtigsten Erkenntnisse des Tages, die alle mit nach Hause nahmen: Ununterbrochene Kommunikation zwischen allen Einsatzkräften und die Chaosphase möglichst verhindern. Das heisst zurückstehen, Situation analysieren und Überblick behalten. Nie hektisch handeln.

 

Fotos: Diego Sonderegger

KSBL Blaulicht-Blog

Der Rettungsdienst des Kantonsspitals Baselland berichtet in seinem Blaulicht-Blog in loser Abfolge über Spannendes aus dem Berufsalltag seiner Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter, die Ausbildung und weitere Neuigkeiten.

> ksbl.ch/blaulicht


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