Soll ich eine junge, sexuell aktive, asymptomatische Frau auf Chlamydien testen?

Prof. Dr. med. Philip Tarr
Facharzt für Infektiologie / Facharzt für Allgemeine Innere Medizin
Co-Chefarzt
Leiter Infektiologie, Leiter Allgemeine Innere Medizin Bruderholz

Tel. +41 61 436 21 81
E-Mail

Jahr für Jahr werden dem Bundesamt für Gesundheit mehr Fälle von Chlamydiose gemeldet als zuvor – im Jahr 2017 waren es mehr als 12’000 Fälle! Manche Gynäkologinnen und Gynäkologen praktizieren daher heute eine Art Chlamydien-Screening, das heisst, sie bieten asymptomatischen, sexuell aktiven, jungen Frauen eine Chlamydien-Testung an, wenn sie sich zum Beispiel für eine Jahreskontrolle vorstellen. Begründung: Chlamydien können zu schweren Komplikationen wie «pelvic inflammatory disease» (PID), ektoper Schwangerschaft und Unfruchtbarkeit führen.

    

Neue Schweizer BAG Empfehlung zur Chlamyiden Behandlung:

«Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis: Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Sexuelle Gesundheit (EKSG) und der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SSI)»

BAG Bulletin
Swiss Medical Forum

Komplikationen nach Chlamydien-Infektion viel seltener, als es bisher hiess

Zwei kürzliche Untersuchungen zeigen nun, dass diese Komplikationen sehr wahrscheinlich deutlich seltener sind als bisher angenommen. Die britische Analyse zeigt: 1000 Chlamydien-Infektionen bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren führen im Schnitt zu 171 Episoden einer PID, zu 2 Episoden ektoper Schwangerschaft und bei 5 Frauen zu einer Tubensterilität (Ref. 1). Die dänische Studie zeigt noch kleinere Risiken: Pro 1000 Chlamydien-Infektionen kommt es zu 6 Episoden einer PID, zu 2 Frauen mit ektoper Schwangerschaft und bei 1 Frau zu einer Tubensterilität (Ref. 2).

In zahlreichen Ländern hat zudem die PID-Häufigkeit über die letzten Jahre abgenommen – in Ländern, wo häufig auf Chlamydien getestet wird, genauso wie in Ländern, wo wenig getestet wird.

Ein generelles Chlamydien-Screening wird nicht empfohlen

Sie können die ersten offiziellen Schweizer Empfehlungen zu Chlamydien-Infektionen im Swiss Medical Forum lesen, wenn Sie hier klicken (in identischer Form auch im BAG-Bulletin erschienen). Wir durften diese Empfehlungen kürzlich schreiben, in Zusammenarbeit mit der Eidg. Kommission für sexuelle Gesundheit und der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Empfohlen wird:

  • Kein generelles Chlamydien-Screening bei asymptomatischen jungen Frauen: Screening-Programme sind aufwendig und teuer, denn sie erfordern eine sehr hohe Testrate und asymptomatische Chlamydien-Trägerinnen sind schwierig zu erreichen. Zudem gibt es keine soliden Daten, dass Chlamydien-Testungen die Chlamydien-Prävalenz in der Bevölkerung, Neuansteckungen oder langfristige reproduktive Komplikationen reduzieren.
  • Die Chlamydien-Suche wird empfohlen bei allen Sexualpartnern von Personen mit nachgewiesener Chlamydiose – das «Partner-Management» stellt einen Eckpfeiler jeder wirksamen Chlamydien-Behandlung dar.
  • Chlamydien sollen gesucht werden bei sexuell aktiven Frauen mit kompatiblen Symptomen: unerklärte Unterbauch- oder vaginale Schmerzen, vaginaler Ausfluss, Dysurie, Kontaktblutungen (Blutungen nach vaginalem Sex) und Zwischenblutungen (Blutungen zwischen 2 Menstruationsblutungen.
Referenzen
  1. Price MJ, Ades AE, Soldan K, et al. The natural history of Chlamydia trachomatis infection in women: a multi-parameter evidence synthesis. Health Technol Assess. 2016; 20(22):1–250.
  2. Davies B, Turner KME, Frølund M, et al. Risk of reproductive complications following chlamydia testing: a population-based retrospective cohort study in Denmark. Lancet Infect Dis. 2016; 16(9):1057–1064.