01. Oktober 2021

Tabuthema Stuhlinkontinenz

Wenn man den Stuhl nicht mehr halten kann, ist der Leidensdruck sehr hoch. Deshalb lohnt es sich, bei einer Stuhlinkontinenz rasch Hilfe zu holen. Das interdisziplinäre Team der Beckenbodensprechstunde am Kantonsspital Baselland KSBL hält eine Reihe von Lösungsansätzen bereit.

Aus dem Alltag einer Betroffenen
Das erste Mal passierte es im Tram. Plötzlich verspürte Erika M.* starken Stuhldrang. Sie konzentrierte sich und hoffte, den Bahnhof und die rettende Toilette dort rasch zu erreichen. Doch als sie sich erhob, landete etwas Durchfall in der Hose. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, denn schon bald breitete sich ein unangenehmer Geruch aus. Von einer Stuhlinkontinenz sind vorwiegend ältere Menschen betroffen, es kann jedoch auch Jüngere treffen. Nicht selten geht sie mit einer Harninkontinenz einher. Der Leidensdruck ist enorm hoch, denn Betroffene schämen sich und ziehen sich immer mehr zurück. So ging es auch der geselligen Rentnerin, welche sich zunehmend isolierte, als die «Pannen» sich häuften. Bei solchen Attacken blieben Erika M. nur wenige Sekunden, um es noch rechtzeitig aufs WC zu schaffen. «Ich war dem Verzweifeln nahe, denn ich musste auf alles verzichten: Reisen, Wandern oder Treffen mit Freunden – alles Dinge, die mir sehr am Herzen liegen.» Die Angst, dass «es» in der Öffentlichkeit passieren könnte, lähmte sie. Wollte sie mit ihrem Mann einen Restaurantbesuch geniessen, so war eine minutiöse Toiletten-Planung nötig. Auf Drängen ihrer Töchter überwand sie ihre Scham und berichtete dem Hausarzt von ihrem Leiden. Dieser überwies sie in die Beckenbodensprechstunde am Kantonsspital Baselland.

«Ich bin froh um alle, die sich an uns wenden. Denn zu viele Menschen mit Stuhlinkontinenz bleiben mit ihrem Leiden allein – die Dunkelziffer ist hoch. Dabei gibt es heute sehr viel, was man dagegen tun kann»,

Dr. med. Sebastian Lamm ist Leitender Arzt in der Klinik für Chirurgie und Mitgründer der interdisziplinären Beckenbodensprechstunde am KSBL. Er hört täglich solche Geschichten wie von Erika M.

Dr. med. Sebastian Lamm
Facharzt für Chirurgie / Viszeralchirurgie
Leitender Arzt
Koordinator Darmkrebszentrum

Tel. +41 61 925 27 20
Mail


Formen von Stuhlinkontinenz

Es gibt zwei Formen Bei einer Stuhlinkontinenz kann die Darmentleerung nicht mehr kontrolliert werden. Meist ist dies eine Folge von Störungen der Anatomie, Motorik und Reizverarbeitung. Dass überdurchschnittlich viele Frauen von Stuhlinkontinenz betroffen sind, liegt meist an Verletzungen des Schliessmuskels, die während der Geburt entstehen können. «Jüngere Frauen können Beckenbodenschwächen meistens noch kompensieren. Mit zunehmendem Alter gelingt dies oft nicht mehr.» Auch andere Krankheiten wie Darmkrebs, Demenz sowie Nervenleiden wie Parkinson oder Multiple Sklerose können ursächlich sein.

Haben Sie Beschwerden?

Das interdisziplinäre Team der Beckenbodensprechstunde hilft Ihnen vertrauensvoll und kompetent weiter. Spezialistinnen und Spezialisten aus den Fachgebieten Chirurgie, Gastroenterologie, Urologie oder Gynäkologie betreuen in verschiedenen Sprechstunden Betroffene mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern. Im Erstgespräch geht es darum, die Beschwerden und Vorgeschichte sorgfältig zu erheben und die nötigen Untersuchungen in die Wege zu leiten. Anschliessend erfolgt die Planung einer individuell abgestimmten Therapie.

Chefarztsekretariat Chirurgie
T +41 (0)61 925 21 50
beckenbodenzentrum@ksbl.ch
www.ksbl.ch/proktologie  


 

Es gibt zwei Formen von Stuhlinkontinenz, die passive und die Dranginkontinenz. Bei ersterer gehen unbemerkt kleinere bis grosse Mengen Stuhl ab. Im Gegensatz dazu bemerken Betroffene bei einer Dranginkontinenz wohl einen Stuhldrang, dessen Vorwarnzeit fällt aber äusserst kurz aus. In einem solchen Fall lässt sich der Stuhlabgang auch trotz aktiven Zusammenziehens des Schliessmuskels nicht verhindern, wenn kein WC in Reichweite ist.

Endlich Besserung in Sicht

Erika M. fühlte sich in der Beckenbodensprechstunde des KSBL sofort gut aufgehoben. Eine Magen-Darm-Fachärztin und ein Chirurg empfingen sie gemeinsam und führten ein ausführliches Gespräch mit ihr. Mit Hilfe des Ernährungs- und Stuhltagebuchs, das die Rentnerin geführt hatte, besprach das Ärzteteam alle Beschwerden mit ihr und führte einige Erstuntersuchungen durch. Bereits nach einer Stunde zeigte sich, wo das Problem liegt. Erika M. erhielt gleich erste Empfehlungen mit auf den Weg. So sollte sie künftig stuhleindickende Nahrungsmittel zu sich nehmen und regelmässig am Beckenbodentraining des KSBL teilnehmen. Zusätzlich erhielt sie testweise eine Elektrostimulation der Enddarm-Nerven. Dafür wurde ihr während einigen Wochen ein kleines Gerät am Fussknöchel angebracht. Als sich zeigte, dass sie gut darauf anspricht, wurde Erika M. anschliessend in einem schonenden ambulanten Eingriff ein diskreter Schrittmacher unter die Haut platziert. «Innert weniger Tage konnte ich meinen Stuhl so weit kontrollieren, dass ich mich wieder unter die Leute traute.» Nicht immer brauche es eine Operation, betont Dr. Lamm. «In vielen Fällen lernen Patientinnen und Patienten, den Stuhl beispielsweise über eine Diät, mit stopfenden Nahrungsmitteln, Verhaltenstraining und durch Beckenbodentraining in der Physiotherapie zu steuern. Bei vielen Formen der Inkontinenz lässt sich bereits mit einfachen Mitteln sehr viel erreichen.» 

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Der Beitrag ist im Magazin Regio aktuell, Ausgabe Oktober erschienen.


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